Orientierungssatz:
§ 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG begünstigt nicht nur die Vermietung von Grundstücken und mit diesen fest verbundenen Gebäuden, sondern allgemein die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen durch einen Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden und damit auch die Vermietung von Wohncontainern an Erntehelfer.
Entscheidung:
BFH, Urteil vom 29. November 2022, XI R 13/20
I. Sachverhalt
Zu klären war die Rechtsfrage, ob der ermäßige Umsatzsteuersatz bei der Vermietung von Wohncontainern greift. Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein Landwirt, der in den Besteuerungszeiträumen 2014 bis 2017 (Streitjahre) saisonal rund 100 Erntehelfer beschäftigte, an die er Räume in Wohncontainern vermietete. Hierbei handelte es sich um sogenannte "Dreierblocks", die über einen Sanitär- und Stromanschluss verfügten, mit Schlafräumen, einer Nasszelle, einem Aufenthaltsraum und einer Küche eingerichtet waren, sowie Einzelcontainer, die lediglich drei Schlafplätze enthielten; für die dort untergebrachten Erntehelfer standen in der Halle des Klägers eine Sanitäreinrichtung und eine zentrale Küchenanlage zur Verfügung.
Die Wohncontainer waren nicht in das Erdreich eingelassen, sondern standen auf Steinsockeln und waren über gepflasterte Wege zu erreichen. Die Dreierblocks waren Eigentum des Klägers und befanden sich dauerhaft auf dessen Gelände, während die Einzelcontainer vom Kläger angemietet wurden und nur während der Saison bei ihm aufgestellt waren. Zwischen dem Kläger und den Erntehelfern wurden neben den Arbeitsverträgen "Leistungsverträge" geschlossen, in denen die Miete kalendertäglich vereinbart war. Neben der Unterkunft konnten die Erntehelfer auch Verpflegung beziehen, die der Kläger gesondert berechnete. Die Verträge enthielten eine Klausel, nach der die Ansprüche aus dem Leistungsvertrag mit Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag aufgerechnet werden konnten; die Dauer des jeweiligen Mietverhältnisses betrug längstens drei Monate. Der Kläger meldete seine Umsätze aus der Vermietung der Räume an Erntehelfer für die Streitjahre zum ermäßigten Steuersatz an. Im Zuge einer Außenprüfung kam der Prüfer unter Bezugnahme auf Abschn. 12.16 Abs. 5 4. Spiegelstrich des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses zu dem Ergebnis, die betreffenden Umsätze unterlägen dem Regelsteuersatz, weil die Unterkünfte keine dauerhaft feste Verbindung zum Grundstück besaßen. #
Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) schloss sich der Auffassung des Prüfers an und erließ für die Streitjahre am 12. April 2019 entsprechende Änderungsbescheide über Umsatzsteuer. Den Einspruch des Klägers wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2019 als unbegründet zurück. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es entschied, die kurzfristige Beherbergung der Erntehelfer in Wohncontainern unterliege dem ermäßigten Steuersatz. Es bestehe hierfür kein Erfordernis, dass die Wohn- und Schlafräume Teile von Gebäuden sein müssten.
II. Entscheidungsgründe
Der erkennende XI. Senat folgt der Ansicht der Vorinstanz und wies die Revision als unbegründet zurück. § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG umfasst nicht nur die Vermietung von Grundstücken und mit diesen fest verbundenen Gebäuden, sondern allgemein die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen durch einen Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden und damit auch die Vermietung von Wohncontainern an Erntehelfer. Zunächst führt der Senat allgemein aus, dass sich nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG die Steuer auf sieben Prozent für die Vermietung u.a. von Wohn- und Schlafräumen ermäßigt, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält. Diese Ermäßigung beruhte in den Streitjahren auf Art. 98 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 1 (nunmehr: Art. 98 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2) i.V.m. Anhang III Nr. 12 MwStSystRL. Zu entscheiden war jedoch, ob auch nicht ortsfeste Wohncontainer unter die Begünstigung fallen. Diese Steuerermäßigung umfasst, wie das FG zutreffend entschieden hat, auch die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen in nicht ortsfesten Wohncontainern.
Der Senat führt aus, dass zunächst aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG kein Bezugspunkt zu einer Vermietung von Grundstücken und somit einer Ortsfestigkeit auszugehen ist. Ausgangspunkt dieser Annahme ist die Formulierung des Tatbestands der Steuerermäßigung in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG, die derjenigen in § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG entspricht, der sich auf den Grundtatbestand des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG und damit auf die Vermietung von Grundstücken bezieht. Darüber hinaus zieht der Senat die MwStSystRL heran, woraus sich auch die Unionsrechtskonformität ergibt. Im Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die gemäß Art. 98 MwStSystRL ermäßigte Mehrwertsteuersätze angewandt werden können, sind in Anhang III Nr. 12 MwStSystRL die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen, einschließlich der Beherbergung in Ferienunterkünften, und Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen angeführt.
Nach Art. 43 MwSt-DVO umfasst die "Beherbergung in Ferienunterkünften" auch die Vermietung von Zelten, Wohnanhängern oder Wohnmobilen, die auf Campingplätzen aufgestellt sind und als Unterkünfte dienen. Der Beherbergungsbegriff des Anhangs III Nr. 12 MwStSystRL ist zwar eng auszulegen und der Anwendungsbereich dieser Bestimmung darf nicht auf Leistungen ausgedehnt werden, die sich weder im Wortlaut der Bestimmung wiederfinden noch begriffsimmanent sind (EuGH-Urteil Segler-Vereinigung Cuxhaven, EU:C:2019:1138, Rz 26 f.). Der Begriff der "Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen" in Anhang III Nr. 12 MwStSystRL ist jedoch weit genug, um auch die kurzfristige Beherbergung von Saisonarbeitern in nicht ortsfesten Wohncontainern zu erfassen. Art. 43 MwSt-DVO ist Ausweis dafür, dass auch die Beherbergung in nicht ortsfesten Einrichtungen der Steuersatzermäßigung unterfallen kann. Bei der Beantwortung der Frage, ob Gegenstände oder Dienstleistungen gleichartig sind, ist in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Danach ist entgegen der Auffassung der Revision nicht auf die Sicht des Leistenden (des Vermieters) abzustellen, etwa dass dieser mobile Wohn- und Schlafräume --anders als ortsfeste Einrichtungen-- räumlich flexibel einsetzen und damit andere Bedürfnisse des Nutzers erfüllen könne. Aus der vielmehr maßgeblichen Sicht des Durchschnittsverbrauchers war im Streitfall jeweils der Bedarf an Unterbringung vor Ort für die Dauer von längstens drei Monaten zu befriedigen.
Wie das FG ausgeführt hat, hätten die Erntehelfer ohne die Unterbringung in den Wohncontainern des Klägers in den umliegenden Pensionen, Hotels oder Ferienunterkünften unterkommen müssen. Bei diesen Formen der Unterbringung handelt es sich insoweit wie bei der Beherbergung in Wohncontainern um gleichartige Dienstleistungen.
(Claudius Söffing, Rechtsanwalt)