Volkssport Steuerhinterziehung

Jürgen Wagner ist Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht und hat das bislang einzige Berater-Handbuch über Geschäfte
in der Schweiz und Liechtenstein geschrieben. Der Konstanzer Wirtschafts-
und Steueranwalt, zugleich in Zürich und Vaduz zugelassen, ist ein
exzellenter Kenner des verschwiegensten Steuerparadieses in Europa. Nach dem
Fall Zumwinkel ist der 46-Jährige ein begehrter Gesprächspartner. Wir veröffentlichen ein Interview aus der Essener NRZ.

NRZ: Der Bundesnachrichtendienst hat belastendes Material über deutsche
Steuerhinterzieher in Liechtenstein gekauft. Geht das in Ordnung?

Wagner: Die Vorgehenswese des BND halte ich für sehr bedenklich. Als Anwalt
eines betroffenen Mandanten würde ich spätestens in der Hauptverhandlung
darauf pochen, dass die Daten einem Beweisverwertungsverbot unterliegen.

NRZ: Einige Medien waren beim Hausbesuch der Fahnder im Fall Zumwinkel sehr
früh live dabei. Ein Einzelfall?

Wagner: Ich hoffe doch sehr. Wenn die Medien vor der Steuerfahndung da sind,
ist das schon unglaublich. Mir drängt sich der Eindruck auf, hier sollte ein
öffentliches Exempel statuiert werden. Letztlich ist der ehemalige Post-Chef
staatlich erpresst worden - nach dem Motto: Entweder du zahlst Kaution und
einen Teil der absehbaren Rückforderungen - oder du gehst ins Gefängnis.

NRZ: Zur Exempel-Theorie würde passen, dass das Bundesfinanzministerium
umgehend etwaige Steuersünder aufgerufen hat, sich selbst anzuzeigen. Wer
wird diesem Appell folgen?

Wagner: Wohl kaum einer. Die Amnestie für Steuersünder, die von Januar 2004
bis März 2005 galt, hat dem Fiskus in Deutschland nur 1,2 Milliarden Euro
zurückgebracht. Das war ein totaler Flop. Selbst in Italien, wo man oft auf
Amnestien zurückgreift, sind die Summen bedeutend höher. Die
Selbstanzeige-Quote wird wohl auch diesmal sehr gering ausfallen.

NRZ: Warum?

Wagner: Flapsig formuliert: Nur Weicheier werden sich von dem Angebot
"Rückzahlung statt Strafe" beeindrucken lassen. All jene, die seit Jahren
ihr Geld im Ausland horten und die lange nicht erwischt wurden, werden
weiter die Füße stillhalten. Wenn die Bundesregierung behauptet, der Zugriff
bei Zumwinkel werde abschrecken, so ist das nichts als staatliche
Propaganda.

NRZ: Demnach wäre also gar kein Kraut gegen Steuerhinterzieher gewachsen?

Wagner: Man sollte vielleicht begreifen, dass es sich dabei um einen
Volkssport handelt, den alle Gesellschaftsschichten betreiben; der eine mit
niedrigen, der andere mit hohen Einsätzen.

NRZ: Und Abtrainieren ist nicht mehr möglich?

Wagner: Wenn Bürger ein Steuersystem als unter dem Strich gerecht und
verständlich empfinden, haben sie in der Regel keinen Anlass, den Staat zu
betrügen, in dem sie leben.

NRZ: Eine Antwort wie aus dem Lehrbuch...

Wagner: ...allerdings mit Beispielen, die durch die Wirklichkeit bestätigt
werden. In der Schweiz gilt die Faustregel für jeden: Ein Drittel meines
Einkommens kriegt der Staat, zwei Drittel bleiben für mich. Die
Steuerdelikt-Quote ist dort nicht ohne Grund viel niedriger als anderswo in
Europa.

NRZ: Sie sind als Anwalt auch in der Schweiz und in Liechtenstein
zugelassen. Das Fürstentum steht heute empfindlich am Pranger. Mit Recht?

Wagner: Liechtenstein ist nicht der Handlanger des deutschen Fiskus. Hier
hat man ein anderes Verständnis von Privatsphäre und Bankgeheimnis.

NRZ: ...ein Verständnis, das auch für Kriminelle gilt...

Wagner: Eben so pauschal kann man das nicht sagen. Stiftungsverwalter,
Treuhänder und Banken im Fürstentum müssen vor einer Anlage intensiv prüfen,
ob schwarzes Geld weiß gewaschen werden soll. Außerdem gibt es ein
Zinsabkommen mit der EU. Will sagen: Die jüngere Generation der
Liechtensteiner Geldverwalter will mit dunklen Machenschaften nichts zu tun
haben. Es rentiert sich nicht und bringt nur Ärger. Man kann dort auch mit
ganz legalen, also: versteuerten, Geldanlagen viel Geld verdienen.

NRZ: Auf den Banken des Fürstentums liegen nach offiziellen Zahlen 200
Milliarden Schweizer Franken an Auslandsvermögen. Wie viel davon ist
steuerliches Fluchtkapital?

Wagner: Das bewegt sich nach meiner Schätzung höchstens im einstelligen
Prozent-Bereich. Tendenz: sinkend.

NRZ: Der Fall Zumwinkel, und das, was noch nachkommt, wird den Finanzplatz
Liechtenstein also nicht wirklich erschüttern?

Wagner: Sicher, der Imageschaden ist kurzfristig durchaus beachtlich.
Angesichts der genannten Geldmenge muss man aber klar sagen: nein. Das wird
in den Bilanzen der Banken keine großen Spuren hinterelassen.

NRZ: Aber der aktuelle Fall zeigt doch, dass eine als verschwiegen geltende
Steueroase keinen Schutz vor unerwünschter Entdeckung bietet.

Wagner: Wenn ehemalige Bank-Angestellte Daten ihrer Kunden an ausländische
Geheimdienste verkaufen - gegen diese Strategie ist kein Land auf der Welt
gefeit.

NRZ: Wie viel "Startkapital" benötigt man eigentlich, um in Liechtenstein
aus deutscher Sicht illegal stiften zu gehen?

Wagner: Für eine Stiftung muss man mindestens 30 000 Schweizer Franken
mitbringen. Sechsstellige Summen müssten es also schon sein, sonst lohnt der
betrügerische Aufwand nicht.

NRZ: Provokation zum Abschluss: Haben Sie Verständnis für Leute wie Klaus
Zumwinkel?

Wagner: Klares Nein! Man muss eben unterscheiden. Es gibt legale
Möglichkeiten, in Liechtenstein sein Geld zu vermehren. Und es gibt
illegale. Ich habe aber sehr großes Verständnis dafür, wenn Leistungsträger
aus Deutschland abwandern, weil sie etwa in der Schweiz auf ein besseres
Umfeld und niedrigere Steuern hoffen. Jeder Bürger einer offenen
Gesellschaft muss das Recht haben, sein Glück auch außerhalb der Heimat zu
suchen. Und natürlich steht es auch jedem frei, steuerliche Gestaltungsräume
zu nutzen. Aber immer legal, versteht sich. (NRZ)