Bericht über den 4. Deutschen Finanzgerichtstag
Über den 4. Deutschen Finanzgerichtstag, der am 22. Januar 2007, in Köln stattgefunden hat, berichtet in einem ausführlichen Beitrag Richter am Finanzgericht Heinz Neu in NJW 2007, Heft 6, NJW-aktuell Seite XIV. Die Einstellung des vollständigen Berichts auf dieser Internet-Seite erfolgt mit Zustimmung des Verlags. Die Rechte bleiben dem Beck-Verlag vorbehalten.
4. Deutscher Finanzgerichtstag am 22. Januar 2007 in Köln:
Mitverantwortung von Bürger und Staat für ein gerechtes Steuerrecht
Von Heinz Neu, Richter am Finanzgericht Köln
Nach der Begrüßung der rund 350 Teilnehmer durch den Präsidenten des Deutschen Finanzgerichtstags RiBFH Jürgen Brandt hob die Justizministerin des Landes NRW Roswitha Müller-Piepenkötter in ihrem Grußwort eine effiziente Justiz als messbaren Standortfaktor hervor und würdigte, dass die Finanzgerichtsbarkeit die Prozessführung eng an den Belangen der Verfahrensbeteiligten ausrichte und bestrebt sei, die Verfahrenslaufzeiten weiter zu verkürzen. Der PräsBFH Dr. Wolfgang Spindler mahnte den Steuergesetzgeber, die durch das Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechtskatalog gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen besser zu beachten. Immerhin habe der BFH dem BVerfG in 2006 sechs Gesetze zur Überprüfung vorgelegt, von deren Verfassungswidrigkeit er überzeugt gewesen sei.
In seinem Festvortrag(Steuer-)Gerechtigkeit in der Mitverantwortung von Staat und Bürger machte Prof. Dr. Klaus Tipke, Köln, zunächst deutlich, dass sich auch die Steuergerechtigkeit an sachgerechten Prinzipien und Regeln orientieren müsse und Prinzipiendurchbrechungen gerechtfertigt werden müssten. Hiergegen werde durch die Steuergesetze laufend verstoßen. Das Leistungsfähigkeitsprinzip werde nicht konsequent umgesetzt. Ein Rechtsbewusstsein könne sich aufgrund der ständigen Änderungen nicht entwickeln. Verantwortung für Steuergerechtigkeit könne nur übernehmen, wer mit den Kriterien der Steuergerechtigkeit vertraut sei. Daran fehle es sowohl beim Gesetzgeber als auch bei den Steuerbürgern. Da etwa jeder zweite Steuerbescheid falsch sei und die Steuergesetze viele Verfassungswidrigkeiten enthielten, werde der Rechtsschutz durch die Finanzgerichtsbarkeit und das BVerfG immer wichtiger.
Prof. Dr. Michael Sachs, Köln, führte mit seinem Vortrag Teilhaberechte und Teilhabepflichten im Dialog von Staatsrecht und Steuerrecht in das staatsrechtliche Umfeld der Thematik ein.
RiBFH Prof. Dr. Hans Jürgen Pezzer widmete sich der Mitverantwortung von Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung und Bürger für ein handhabbares Steuerrecht. Er machte dabei einen nicht unerheblichen Wissens- und Machtvorsprung der Finanzverwaltung gegenüber dem Bundestag aus, der sich u.a. daraus ergebe, dass die Ministerien in zahlreichen Fällen als Ersatzgesetzgeber fungierten. Die Parlamentarier seien häufig mit der Komplexität der Gesetzgebung überfordert. Die Rechtsprechung könne nur punktuelle Korrekturen an den Unzulänglichkeiten des Steuerrechts vornehmen. Selbstkritisch merkte er an, dass die Anforderungen an die Darlegungserfordernisse bei einer Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH nicht überspannt werden dürften. Prozessrecht dürfe nicht dazu führen, dass der Rechtsschutz auf der Strecke bleibe.
Prof. Dr. Clemens Fuest, Köln, untersuchte in seinem Beitrag Steuerakzeptanz und Steuerwiderstand als Herausforderung für die Steuergesetzgebung die Motivation für Steuerehrlichkeit aus der Sicht der Finanzwissenschaft. Die Steuerakzeptanz erhöhe sich, wenn die Steuergesetze nicht einzelne Gruppen privilegierten, verständlich seien und der Bürger den Zusammenhang zwischen Steuerzahlung und staatlicher Leistung erkennen könne.
Prof. Dr. Roman Seer, Bochum, sprach sich in seinem Vortrag Selbstveranlagung, Risikomanagement sowie andere Maßnahmen gegen Vollzugsdefizite vehement für die elektronische Selbstveranlagung aus, die von einem effizienten Risikomanagement und spürbaren Sanktionen begleitet werden müsse. Erforderlich sei eine sog. Tax Compliance-Strategie. Danach soll, wie in anderen europäischen Ländern, die Bereitschaft der Bürger, die steuerlichen Pflichten korrekt zu erfüllen durch verstärkte Orientierung der Finanzverwaltung am "Kunden" erhöht werden.
Am Nachmittag wurden abschließend Wege zu einem nachvollziehbar gerechten und effektiven Steuerrecht gesucht. Es diskutierten die BT-Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Finanzausschusses Gabriele Frechen, der RiBVerfG Dr. Mellinghoff, der Präsident des Bundes der Steuerzahler Dr. Karl-Heinz Däke, der Präsident der OFD Rheinland Ulrich Müting sowie der RA und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht im DAV Dr. Rolf Schwedhelm. Die Podiumsdiskussion wurde vom PräsFG Hamburg Dr. Jan Grother moderiert.
Frechen bezweifelte, ob ein einfaches Steuerrecht tatsächlich gerecht sein könne. Obwohl dem Gesetzgeber grundsätzlich an Vereinfachung gelegen sei, würden letztlich Gerechtigkeitsgesichtspunkte häufig detaillierte und komplizierte Regelungen erfordern. Sie räumte allerdings ein, dass unverständliche und unsystematische Steuervorschriften zum Teil auch das Ergebnis eines politischen Kompromisses seien. In absehbarer Zeit erwarte sie keine grundlegende Veränderung des bestehenden Einkommensteuerrechts.
Mellinghoff gab der Politik Kriterien an die Hand, die vor jeder Änderung des Steuerrechts berücksichtigt werden sollten. Neben der Verständlichkeit und der systematischen Eingliederung sei danach insbesondere zu prüfen, ob die Neuregelung wirklich einen bedeutenden Fortschritt bringe. Zudem gelte es die Kontinuität zu wahren, der im Steuerrecht erhebliche Bedeutung zukomme. Er setze in Bezug auf ein transparentes und überschaubares Steuerrecht weiter auf den Bundestag und seine Abgeordneten, die sich künftig unter Einbindung entsprechenden Sachverstandes mehr Zeit bei der Steuergesetzgebung nehmen sollten.
Däke forderte eine Reduzierung der bestehenden Steuern auf zehn Steuerarten. Die Regelungen des verbleibenden Steuerrechts müssten entsprechend der Vorgaben des BVerfG auch für Nichtrechtskundige überschaubar und planbar sein. Alle Lenkungszwecke müssten aus dem Einkommensteuerrecht verbannt werden.
Müting betonte einen bereits derzeit akzeptablen Vollzug der Steuergesetze durch die Finanzverwaltung. Die Verwaltung sei auf dem Weg zur elektronischen Selbstveranlagung mit Risikomanagement und zeitnaher Betriebsprüfung. Für die nähere Zukunft erhoffe er sich insbesondere durch die Einführung der Abgeltungssteuer eine spürbare Verbesserung.
Schwedhelm bezweifelte, ob ein gerechteres Steuerrecht tatsächlich zu einer besseren Steuermoral führe, zumal Gerechtigkeit insoweit ohnehin nur schwer zu definieren sei. Für die Zukunft rechne er nicht mit einem einfacheren und gerechteren Steuerrecht. Er setze insoweit mehr Vertrauen in die Finanzverwaltung und die Finanzgerichte. Die Finanzgerichtsbarkeit sei hoch qualifiziert und gewährleiste einen effektiven Rechtsschutz in Steuersachen.
Bei aller kontroversen Diskussion stimmten die Diskussionsteilnehmer jedenfalls darin überein, dass die Verantwortung für die Qualität des Steuerrechts in erster Linie beim Gesetzgeber liege und dass ein einfaches, gerechtes und handhabbares Steuerrecht grundsätzlich ein erstrebenswertes Ziel sei.
Der 5. Deutsche Finanzgerichtstag findet am 21. Januar 2008 in Köln statt und wird sich mit Brennpunkten des Steuerrechts aus deutscher und ausländischer Sicht" befassen.
Bilder der Veranstaltung: