Ablehnung eines „coronabedingten“ Terminsverlegungsantrags

Orientierungssatz:
Trotz Vorerkrankung eines nicht geimpften Prozessbeteiligten kann es sich im fortgeschrittenen Stadium der COVID-19-Pandemie als nicht verfahrensfehlerhaft erweisen, wenn das Finanzgericht den Antrag auf Terminverlegung ablehnt und ohne den Prozessbeteiligten mündlich verhandelt.

Entscheidung:
BFH, 22.10.2021 - IX B 15/21; im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Beschluss vom 22.10.2021 IX B 16/21 I.

Sachverhalt
Gegenstand der Beschwerde war die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (--Klägerin--) beantragte am 13.01.2021 die Verlegung der mündlichen Verhandlung. Sie verwies auf die von der COVID-19-Pandemie ausgehenden Gesundheitsgefährdungen, insbesondere bei der Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs und in Hinsicht auf das Alter und die Vorerkrankungen ihres Prozessbevollmächtigten. Die Klägerin wurde mit Hinweisschreiben vom 05.10.2020 sowie in der Ladung vom 27.11.2020 auf die Möglichkeit, für eine Vertretung zu sorgen, hingewiesen.

Der Senatsvorsitzende lehnte den Antrag ab. Zur Begründung wies er daraufhin, dass wegen des umfangreichen gerichtlichen Schutzkonzepts (Einsatz eines Luftreinigungsgeräts, regelmäßiges Lüften, Desinfizieren der Tische, Nutzung von Plexiglasabtrennungen) keine besondere Ansteckungsgefahr bestehe. Zudem bestehe bei lang andauernder Verhinderung aus gesundheitlichen Gründen die Pflicht, für eine Vertretung zu sorgen. Zur mündlichen Verhandlung erschien die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter nicht. Der Senat der Vorinstanz entschied in der Sache gleichwohl, wies die Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Die Klägerin erhob daraufhin Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision mit der Begründung, dass ein Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach §§ 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 FGO i.V.m. Art 103 Abs. 1 GG vorliegen würde.

II. Gründe
Der IX. Senat des BFH gab der Nichtzulassungsbeschwerde nicht statt.

Der erkennende Senat negierte einen Verfahrensmangel, da die Ablehnung des Antrags auf Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht verfahrensfehlerhaft war, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann das Gericht einen Termin aus erheblichen Gründen vor seiner Durchführung aufheben oder (unter Bestimmung eines neuen Termins) verlegen. Welche Gründe als erheblich anzusehen sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Zu den erheblichen Gründen i.S. des § 227 ZPO gehört auch die krankheitsbedingte Verhinderung. Allerdings stellt nicht jegliche Erkrankung einen ausreichenden Grund für eine Terminsverlegung dar. Diese ist grundsätzlich nur geboten, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass vom Beteiligten die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann.

Nach diesen Grundsätzen durfte das Finanzgericht den Terminsverlegungsantrag der Klägerin ablehnen und in ihrer Abwesenheit mündlich verhandeln. Der IX. Senat hat die Ansicht des Finanzgerichts, dass aufgrund des vom Gericht ergriffenen Schutzkonzepts kein erhöhtes Ansteckungsrisiko in der mündlichen Verhandlung besteht, als sachgerecht bewertet. Eine schwere Vorerkrankung eines Prozessbeteiligten gebietet nicht per se die Terminsaufhebung oder -verlegung, sondern stellt (nur) einen angemessen zu berücksichtigenden Abwägungsgesichtspunkt im Rahmen der Anwendung und Auslegung des "erheblichen Grunds" i.S. des § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO dar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einem Gericht, das Maßnahmen ergreift, um einer zu befürchtenden Schädigung entgegenzuwirken, bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zusteht.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die mündliche Verhandlung in einem fortgeschrittenen Stadium der Pandemie stattgefunden hat. Zwar verblieb es damit bei der von der Klägerin geltend gemachten Ansteckungsgefahr auf der An- und Abreise. Insofern wäre es der Klägerin und ihrem Prozessbevollmächtigten aber durchaus zuzumuten gewesen, auf Alternativen zum öffentlichen Personennahverkehr, wie z.B. die Nutzung eines PKW´s oder eines Taxis auszuweichen. Dies erscheint nach Ansicht des Senats --auch angesichts der Entfernung zwischen dem Wohn- bzw. Dienstort des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und dem Finanzgericht-- nicht unzumutbar.

Für den erkennenden Senat war ferner ein maßgebender Gesichtspunkt, dass der Vorsitzende die Klägerin und ihren Prozessbevollmächtigten bereits mit Schreiben vom 05.10.2020 auf die Möglichkeit, für eine Vertretung zu sorgen, hingewiesen hat. Argumentativ stellte der BFH auch auf die Regelung in § 53 der Bundesrechtsanwaltsordnung ab. Daraus ergibt sich die Pflicht eines Prozessbevollmächtigten, der angesichts der fortdauernden Corona-Pandemie wegen seiner gesundheitlichen Situation davon ausgeht, Termine nicht wahrnehmen zu können, Vorsorge für eine Vertretung zu treffen. Wie die Entscheidung verdeutlicht, kann Corona nicht als Allzweckmittel für eine Verzögerung des Prozessablaufes herangezogen werden. Es besteht für die Beteiligten auch die Obliegenheit Sorge dafür zu tragen, dass das Verfahren ordnungsgemäß und damit in einem angemessenen zeitlichen Rahmen abläuft.

(RAe Alessandro Saitta und Claudius Söffing)